Es ist ein schon etwas ungewöhnlicher Prozess, der am Dienstag begonnen hat. Ungewöhnlich, weil nicht nur ein Anwalt vor Gericht steht. Als Zeuge geladen ist auch ein Untersuchungsrichter. Durch seine Aussagen bei der Staatsanwaltschaft hat er den Anwalt vor Gericht gebracht. Als Zeugin geladen ist aber auch noch die Generalstaatsanwältin Martine Solovieff. Ungewöhnlich an dem Prozessauftakt ist dann auch noch die Zahl der Anwälte, die sich im großen Saal des Gerichtes eingefunden haben. Aus Solidarität zu ihrem Berufskollegen, dem, so kann man vernehmen, durch die Klage Unrecht getan wird. Das sei ein Angriff auf die Unabhängigkeit des Berufes der Anwälte. Aber es sind viele Anwälte, zu viele – jedenfalls aufgrund der geltenden sanitären Bestimmungen. Da musste der Richter dann einiges an Überzeugungsarbeit leisten, bis der Saal regelkonform war. Die Vorsitzende der Anwaltskammer half dabei. So viel zur Situation im Sitzungssaal. Doch worum geht es eigentlich in diesem Prozess? Teurer Produktionsausfall Der Vorfall liegt rund zwei Jahre zurück. Es geht um einen Arbeitsunfall in einem Betrieb von ArcelorMittal. Ein Arbeiter kam dabei ums Leben. Nichts Alltägliches. Mit Einverständnis des Untersuchungsrichters Felipe Rodriguez wurde damals ein Stromaggregat versiegelt, das vermutlich in Zusammenhang mit dem Todesfall stand. Versiegeln heißt zeitweilig unbrauchbar machen, aber auch Produktionsstopp, was in diesem Fall etwa 3 Millionen Euro Verlust pro Tag bzw. rund 20 Millionen pro Woche bedeutete. Als Anwalt von ArcelorMittal setzte sich Maître André Lutgen dafür ein, die Versiegelung so schnell wie möglich aufzuheben, sofern es die Umstände und legalen Bestimmungen erlaubten. Beim Untersuchungsrichter habe er kein Gehör gefunden. Lutgen befürchtete eine kostspielige Verzögerung. Er entschloss sich daher, eine Mail an die damaligen Minister für Justiz, Félix Braz, und Wirtschaft, Etienne Schneider zu schreiben. Die Mail ging ebenfalls an Generalstaatsanwältin Martine Solovieff. Untersuchungsrichter Rodriguez empfand dies als Einschüchterung und Einmischung in die Unabhängigkeit seiner Arbeit und erstattete Bericht bei der Staatsanwaltschaft. Diese entschied daraufhin, gegen den Anwalt Klage zu führen. So kam es zum Prozess, der am Dienstag begonnen hat. Nachdem sich der Tumult aufgrund der sanitären Maßnahmen gelegt hatte, bekam Valérie Dupong das Wort. Man wolle einem Berufskollegen beistehen, der, obwohl er nur seine Arbeit gemacht habe, sich nun vor Gericht verantworten müsse. Deshalb seien die Anwälte in Sorge, sagte die Vorsitzende der Anwaltskammer. Der „Conseil de l’orde des avocats“ habe sich mit den an André Lutgen gerichteten Vorwürfen beschäftigt, aber kein Fehlverhalten, kein Verstoß gegen die Deontologie feststellen können, erklärte Dupong. Der Meinung ist auch André Lutgen selbst, der in einer kurzen Stellungnahme angab, nicht zu verstehen, warum er vor Gericht stehe. Er könne sich also weder schuldig noch unschuldig bekennen. Er habe nur seine Arbeit getan. Das habe auch er als Untersuchungsrichter, sagte Felipe Rodriguez im Zeugenstand. Damals habe er Bereitschaftsdienst gehabt. Viel Arbeit. Er habe seine Entscheidungen nach bestem Gewissen getroffen. Mit Anwalt Lutgen habe er nicht reden müssen, da das von Gesetz wegen auch nicht erlaubt sei. An die genauen Umstände, Zeitabläufe erinnere er sich nicht mehr so genau. Falsch gehandelt habe er seiner Auffassung nach nicht.